Ruhen der Verjährung aufgrund eines quasi gesetzlichen Verfolgungshindernisses bei Vergabe schädlicher Dopingmittel an uneingeweihte minderjährige Sportler in der DDR

Zu § 78 b Abs. 1 Nr. 2 StGB - Eine Anmerkung zu BGH - 5 StR 451/99 – Beschluss vom 9. Februar 2000

Hans-Jürgen Dohmen, Dozent an der FHR NRW Bad Münstereifel

 

In dem vorbezeichneten Beschluss hat der BGH entschieden, dass in Fällen staatlich zentral gelenkter Vergabe schädlicher Dopingmittel an uneingeweihte minderjährige Sportler die Verjährung in der DDR aufgrund eines quasi gesetzlichen Verfolgungshindernisses geruht hat.

In dem Verfahren vor dem Landgericht Berlin war der Angeklagte – ein Arzt für Sportmedizin – wegen Beihilfe zur vorsätzlichen Körperverletzung in neun Fällen zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Gegenstand der Verurteilung war die Vergabe männlicher Sexualhormone an neun minderjährige Schwimmerinnen des Sportclubs Dynamo Berlin in der Zeit zwischen 1975 und 1984, wobei die Mädchen – einschließlich ihrer Eltern – aufgrund staatlicher Geheimhaltung bewusst nicht über die ihnen verabreichten Mittel aufgeklärt wurden.

Mit der vorbezeichneten Entscheidung hat der BGH die Revision des Angeklagten gegen das landgerichtliche Urteil als unbegründet verworfen und klargestellt, dass eine Verjährung der dem Angeklagten zur Last gelegten Taten ausscheidet, weil in Fällen systematischer Vergabe schädlicher Dopingmittel an uneingeweihte minderjährige Sportler die Verjährung in der DDR aufgrund eines quasi gesetzlichen Verfolgungshindernisses geruht habe. In Fällen der vorliegenden Art handele es sich um schwerwiegende Rechtsbrüche, die eine Anwendung der Grundsätze über das Ruhen der Verjährung rechtfertige.

Bei der im Ergebnis zutreffenden Entscheidung stellt sich begründungsmäßig allerdings die Frage, ob die Frage einer Verjährung nicht gem. § 84 StGB–DDR zu entscheiden gewesen wäre. Nach dieser Vorschrift unterliegen Verbrechen gegen den Frieden, die Menschlichkeit und die Menschenrechte und Kriegsverbrechen nicht den Bestimmungen über die Verjährung. § 84 StGB-DDR findet also Anwendung auf Menschenrechtsverletzungen, z.B. die Todesschüsse an der innerdeutschen Grenze (vgl. BGHSt 40, 113). Als schwere Menschenrechtsverletzung, ist auch staatlich organisiertes Doping mit schädigenden Mitteln wie im vorliegenden Fall anzusehen, da hier die betroffenen minderjährigen Sportlerinnen von Staats wegen ohne Rücksicht auf gravierende Gesundheitsschädigungen – z.B. mögliche Lebertumore oder schwerwiegende Herzerkrankungen – für staatliche Zwecke missbraucht wurden. Dieser schwerwiegende Rechtsbruch ist als Menschenrechtsverletzung zu werten. Zu Recht ist somit im Ergebnis von dem Ruhen der Verjährung dieser Unrechtstaten auszugehen, da sie systemimmanent durch das totalitäre Regime der SED nicht verfolgt wurden.

 

25. März 2000