Straf- und Strafprozessrechts-Klausur (1998)

Aktualisierte Volltextversion aus Rechtspfleger-Studienhefte 1998, 149

 

Der Medizinmann aus El Paso

A.) Sachverhalt Der Justizinspektor z.A. Werner Kühnemund ist als Rechtspfleger beim Amtsgericht Krefeld tätig und nach dem dortigen Geschäftsverteilungsplan unter anderem zuständig für die Aufnahme von Erklärungen über die Einlegung und Begründung der Revision in Strafsachen. Im Bezirk des Amtsgerichts Krefeld liegt die Justizvollzugsanstalt Willich I, in die sich Rechtspfleger Kühnemund heute (04. Juni 1999) zur Abhaltung seiner allwöchentlichen Sprechstunde begibt. Dort trifft er den übersetzer Sieghardt Lehmann an, der ihm folgendes erklärt:

Ich sitze hier seit dem 31. März 1999 in der Strafsache 69 Js 271/97 der Staatsanwaltschaft Bonn eine dreijährige Freiheitsstrafe ab und möchte heute die Revision gegen ein Urteil des Landgerichts Münster begründen. In diesem Verfahren ist nämlich einiges falsch gelaufen. Die Hauptverhandlung fand am 24. Februar 1999 vor einer kleinen Strafkammer statt. Zu dieser erschien ich mit meinem Wahlverteidiger. Diesen brauchte ich nur mündlich zu mandatieren, da ich ihn aus früheren Strafverfahren gut kannte. Merkwürdig kam mir dieses Mal aber vor, dass die kleine Strafkammer nicht wie sonst mit nur einem, sondern mit zwei schwarzberobten Berufsrichtern besetzt war. Diese ließen mich kaum zu Wort kommen und fragten mich nach dem Schlussvortrag meines Wahlverteidigers nicht, ob ich dem Gericht noch etwas mitzuteilen habe. Dabei hätte ich noch viel mitzuteilen gehabt. Aus Protest gegen dieses Verhalten habe ich dann das Gerichtsgebäude verlassen, als sich die kleine Strafkammer im Beratungszimmer befand. Wie mir mein mündlich mandatierter Wahlverteidiger berichtete, hat das Gericht das Urteil dann einfach in meiner Abwesenheit verkündet und es am Donnerstag, dem 18. März 1999 meinem Wahlverteidiger zugestellt. Ich selbst habe dann am 26. März 1999 einen von mir eigenhändig geschriebenen und unterschriebenen Brief in den Nachtbriefkasten des Landgerichts Münster geworfen, in welchem ich gegen das Urteil Revision eingelegt habe. Daraufhin wurde mir selbst das Urteil am Donnerstag, dem 22. April 1999, zugestellt und zwar unter meiner Tecklenburger Anschrift. Da ich ja nicht anwesend war, übergab der Postbote den Brief mit dem Urteil an meine Mutter. Da diese nur Französisch spricht und so den Inhalt des Briefs nicht verstehen konnte, hat sie mir das Urteil noch am selben Tag hier in die Justizvollzugsanstalt Willich I gefaxt. Das Fax mit dem Urteil wurde mir am Abend des 22. April 1999 ausgehändigt. Hier sehen Sie, da ist das Urteil (siehe Anlage). Im übrigen verstehe ich gar nicht, warum ich wegen des angeblichen Diebstahls und des angeblichen Betruges verurteilt werden konnte. Ein Strafantrag wurde gegen mich nämlich nur wegen der angeblichen gefährlichen Körperverletzung gestellt. Besonders empört bin ich darüber, dass das Gericht die polizeiliche Aussage der Zeugin Ute Lumer einfach verlesen hat. Mein Wahlverteidiger und ich haben bereits in der Hauptverhandlung heftig dagegen protestiert. Das Gericht hat dennoch die Verlesung beschlossen und zur Begründung ausgeführt, die Zeugin sei nach ihrer polizeilichen Vernehmung mit einem Verein nach Mayschoß an die Ahr zu einer Weinprobe gefahren. Sie sei sodann in ein unbefristetes Delirium tremens (= Säuferwahnsinn) gefallen. Da sowohl eine Behandlung mit Clomethiazolika (Distraneurin) als auch eine solche mit Antihalluzinogenen (Haldol) erfolglos geblieben sei, sei ungewiss, ob die Zeugin Ute Lumer überhaupt noch einmal vernommen werden könne. Außerdem meine ich, dass das Gericht die Zeugin Angelika Born über ein Schweige- und Eidesverweigerungsrecht hätte belehren müssen. Dies hat es aber nicht getan. Letztlich versteht das Gericht auch nichts vom materiellen Strafrecht, denn es hat dieses falsch angewendet.

 

B.) Aufgabe: Begutachten Sie sowohl die Zulässigkeit als auch die Begründetheit der Revision. Falls Sie zu dem Ergebnis kommen sollten, dass die Revision unzulässig ist, stellen Sie den gesamten weiteren Gedankengang als Hilfsgutachten dar. Fertigen Sie k e i n Revisionsbegründungsprotokoll und unterstellen Sie für Ihre Ausführungen, dass die tatsächlichen Angaben des Sieghardt Lehmann zutreffen und durch den Akteninhalt, insbesondere das letzte Sitzungsprotokoll, belegt werden.

C.) Bearbeitungszeit: 4 Zeitstunden (240 Minuten)

D.) Hilfsmittel: Schönfelder, Deutsche Gesetze

 

Anlage:

LANDGERICHT MüNSTER IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

3 Ns 24 Js 568/98 (416/98)

In der Strafsache

gegen den übersetzer Sieghardt Lehmann, geboren am 08. November 1956 in El Paso (Texas/USA), An der Alten Silbermine 23, 49545 Tecklenburg, Deutscher, Franzose und USA-Bürger,

wegen gefährlicher Körperverletzung, Diebstahls und Betruges,

hat die 3. kleine Strafkammer des Landgerichts Münster in der öffentlichen Sitzung vom 24. Februar 1999, an der teilgenommen haben: Vorsitzender Richter am Landgericht Schröder als Vorsitzender, Richter am Landgericht Fischer als Beisitzer, ökotrophologin Meyer als Schöffin, Limnologin Matthäus als Schöffin, Staatsanwältin Simon als Beamtin der Staatsanwaltschaft, Universitätsprofessor Dr. jur. Kohlhaus als Wahlverteidiger, Justizsekretär Reiter als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:

1.) Auf die Berufung der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Amtsgerichts Tecklenburg - erweitertes Schöffengericht - vom 18. Dezember 1998 (8 Ls 24 Js 568/98 - 134/98 -) aufgehoben.

2.) Der Angeklagte wird wegen gefährlicher Körperverletzung, wegen Diebstahls und wegen Betruges zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt.

3.) Der Angeklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

§§ 223, 224 I Nr. 2 ; 242 I; 263 I; 53 I; 54 I, II StGB.

Gründe: I. Die Staatsanwaltschaft Münster hat den Angeklagten beim Amtsgericht Tecklenburg - erweitertes Schöffengericht - wegen gefährlicher Körperverletzung, Diebstahls und Betruges angeklagt. Das Amtsgericht Tecklenburg - erweitertes Schöffengericht - hat den Angeklagten durch Urteil vom 18. Dezember 1998 freigesprochen. Hiergegen hat die Staatsanwaltschaft Münster mit einem Schriftsatz, der am Montag, dem 28. Dezember 1998, beim Amtsgericht Tecklenburg eingegangen ist, Berufung eingelegt. Die erneut durchgeführte Hauptverhandlung hat folgendes ergeben:

II. Der Angeklagte ist Trippelstaater, da er als Sohn eines deutschen Vaters und einer französischen Mutter in einem Land mit Territorialprinzip geboren wurde. Er wuchs im bilingualen El Paso (Texas/USA) auf und ging dort zur Schule. Daher spricht er als Muttersprachen Deutsch, Französisch, Englisch und Spanisch. Als 20-jähriger kam der Angeklagte nach Paris und studierte dort an der Sorbonne Humanmedizin. Die ärztliche Abschlussprüfung bestand der Angeklagte jedoch nicht, da er nicht wusste, dass eine Medikation mit dem HMG-CoA-Reduktasehemmer Simvastatinbesilat (Zocor und Denan) bei hyperlipidämischen Frauen zu deren Frigidität führt. Von nun an begann für den Angeklagten eine steile kriminelle Karriere. Ein Auszug aus dem Bundeszentralregister weist per 12. Februar 1999 in Bezug auf den Angeklagten folgende Vorstrafen aus: - Es folgt eine genaue Auflistung von 14 Vorstrafen. -

Der Angeklagte arbeitet aufgrund seiner außerordentlichen Sprachkenntnisse momentan freiberuflich als übersetzer und übersetzt schwierige pharmakologisch-medizinische Fachtexte für die internationale Arzneimittelindustrie.

III. Der Angeklagte schlenderte am 25. April 1998 durch die Fußgängerzone von Tecklenburg und sah den 5 Jahre alten Kevin, das Kind einer guatemaltekischen Asylbewerberfamilie, das gerade alleine vom Kindergarten nach Hause ging und ein Milcheis schleckte. Der süße Duft des Milcheises lockte eine Wespe an, die sich von Kevin unbemerkt auf das Milcheis setzte. Beim nächsten Schleck verschluckte das Kind die Wespe, die Kevin daraufhin innen in die Luftröhre stach. Der Angeklagte erkannte sofort, dass Kevin durch die Anschwellung des Innenhalsgewebes in wenigen Minuten ersticken würde, wenn nicht sofort ein Luftröhrenschnitt getätigt würde. Er rannte daher so schnell er konnte in das nahegelegene Sanitätshaus des Zeugen Wilfried Knaup, stieß alle Kunden zur Seite und nahm dort ein Skalpell sowie eine Flasche Desinfektionsspray weg. Als er wieder bei Kevin angekommen war, sah er, wie das Kind schon auf dem Straßenboden lag und mit dem Erstickungstod kämpfte. Der Zeuge Christian Hütter zog einen Zettel aus Kevins Hosentasche, auf dem in spanischer Sprache geschrieben stand: "Wir, die Eltern von Kevin, sind bekennende Zeugen Jehovas. Wir widersprechen daher mit Nachdruck jedem medizinischen Eingriff an unserem Kind - auch für den Fall der Not - und werden bei Zuwiderhandlung Strafanzeige erstatten. gez. Fernando Rodriguez gez. Donna Rodriguz-Martinez"

 

Der Angeklagte nahm den Inhalt des Zettels zur Kenntnis und schüttelte über ihn fassungslos den Kopf. Sodann desinfizierte er das Skalpell und Kevins Halshaut und führte chirurgisch fachgerecht den Luftröhrenschnitt durch. Kevin wurde gerettet. Er wäre ohne das Handeln des Angeklagten nur wenige Sekunden später erstickt. Die Eltern von Kevin jedoch stellten gegen den Angeklagten Strafantrag wegen gefährlicher Körperverletzung.

IV. Der Angeklagte ging am späten Abend des 19. Mai 1998 im Beethovenpark in Tecklenburg spazieren. Er sah dort den nichtsesshaften Paul Teupel auf einer Parkbank liegen, von dem der Angeklagte wusste, dass dieser unter einem malignen diabetes mellitus (= hochgradige Zuckerkrankheit) litt. Als der Angeklagte neben Teupel eine leere 2 Literflasche Coca Cola stehen sah, schöpfte er sofort Verdacht. Er lief auf Teupel zu, stellte aber nur noch fest, dass er diesem nicht mehr helfen konnte, da Teupel bereits an einem durch schwere überzuckerung ausgelösten Herzinfarkt verstorben war. Der Angeklagte durchsuchte die Hemd- und Hosentaschen des toten Teupel und fand einen 20 US-Dollarschein, den Teupel kurz zuvor einem US-amerikanischen Touristen entwendet hatte. Der Angeklagte steckte den 20 US-Dollarschein ein und ging nach Hause. Bei dem ganzen Vorgang wurde er von der Zeugin Ute Lumer beobachtet.

V. Am 08. Juni 1998 verstarb auf Schloss Hohenstein, ihrem letzten Wohnsitz, die steinreiche Freifrau zu Menster. Dieser hatte der Angeklagte lange Zeit das für sie richtige Allopurinolikum besorgt, was die Produktion von Harnsäure reduzierte und die Freifrau so von ihren quälenden Gichtanfällen befreite. Aus Dankbarkeit hatte die Freifrau dem Angeklagten bereits 1997 ein von ihr eigenhändig geschriebenes und unterschriebenes Schriftstück ausgehändigt, in welchem sie den Angeklagten zu ihrem Alleinerben einsetzte. Mit diesem Schriftstück erreichte es der Angeklagte, dass das zuständige Nachlassgericht ihm am 13. August 1998 einen Alleinerbschein nach der Freifrau erteilte. Um so enttäuschter war der Angeklagte, als am 29. September 1998 bei ihm die Zeugin Marliese Kutsche auftauchte und ein ordnungsgemäßes Testament der Freifrau aus dem Jahre 1998 präsentierte, das nunmehr sie als Alleinerbin der Freifrau auswies. Die Freifrau wollte damit die außergewöhnliche Willensstärke der Zeugin Kutsche belohnen, die diese bei einer kostenaufwendigen stationären Raucherentwöhnungstherapie in einem Sanatorium bewiesen hatte. Die Zeugin Kutsche erklärte, sie werde ein zum Nachlass gehörendes Hermelinpelzjäckchen sofort mitnehmen, da sie es gleich übermorgen beim Besuch der Zauberflöte tragen wolle. Der Angeklagte händigte das wertvolle Hermelinpelzjäckchen der Zeugin Kutsche aus, veranlasste aber den Zeugen Michael Dick, es aus der Operngarderobe zu entwenden und zu ihm zurück zu bringen. Die geschiedene Ehefrau des Bruders des Angeklagten, die Zeugin Angelika Born, war seit dem Tod der Freifrau an dem Erwerb des Hermelinpelzjäckchens sehr interessiert und hatte den Angeklagten schon mehrfach erfolglos bedrängt, es ihr zu verkaufen. Am Wiedervereinigungstag 1998 begab sich der Angeklagte mit dem Hermelinpelzjäckchen zu der Zeugin Born und erklärte dieser, er habe sich nunmehr entschlossen, ihr das Pelzjäckchen preisgünstig zu verkaufen, da er mit diesem ja ohnehin nichts anfangen könne. Da das Jäckchen einen tatsächlichen Wert von 8.000,-- DM hatte, zahlte die Zeugin Born sofort an den Angeklagten die von diesem verlangten 5.000,-- DM und hängte das Jäckchen freudig in ihren Kleiderschrank. Der Angeklagte fuhr sodann in die Spielbank nach Bad Neuenahr in Rheinland-Pfalz und verjubelte dort die 5.000,-- DM beim Roulettespiel.

VI. Diese Feststellungen beruhen auf der Einlassung des Angeklagten, soweit das Gericht dieser zu folgen vermochte. Sie beruhen weiter auf den uneidlichen Aussagen der Zeugen Christian Hütter und Michael Dick sowie auf der als uneidliche Aussage verwerteten Bekundung der Zeugin Angelika Born. Außerdem beruhen diese Feststellungen auf dem in der Hauptverhandlung verlesenen polizeilichen Protokoll über die Aussage der Zeugin Ute Lumer.

VII. Die Berufung ist zulässig, insbesondere fristgerecht eingelegt. - Es folgt die Begründung im Einzelnen. - Die Berufung ist auch begründet, denn der Angeklagte hat sich wie folgt strafbar gemacht: 1.) Durch den Vorfall vom 25. April 1998 wegen gefährlicher Körperverletzung. - Es folgt die Begründung im Einzelnen. - 2.) Durch den Vorfall vom 19. Mai 1998 wegen Diebstahls. - Es folgt die Begründung im Einzelnen . - 3.) Durch den Vorfall vom Wiedervereinigungstag 1998 wegen Betruges. - Es folgt die Begründung im Einzelnen. -

VIII. Im Rahmen der Strafzumessung war bei der nach § 46 II StGB durchzuführenden Abwägung zu Lasten des Angeklagten zu berücksichtigen, dass dieser bereits erheblich vorbestraft ist. Zu Lasten des Angeklagten war auch zu berücksichtigen, dass er sich an einem Toten vergriffen hat. Dies ist eine besonders verwerfliche Form des Diebstahls, nämlich Leichenfledderei. - Es folgen die weiteren Begründungen zur Strafzumessung, zur Bildung der drei Einzelstrafen und zur Bildung der Gesamtstrafe. -

IX. Die Gesamtstrafe konnte nicht nach § 56 II StGB zur Bewährung ausgesetzt werden. - Es folgt die Begründung im Einzelnen. -

X. Die Kostenentscheidung beruht auf § 465 I 1 StPO.

gez. Schröder gez. Fischer
Ausgefertigt: Bosserhoff (Ordnungsgemäßer Individualabdruck des Farbdrucksiegels Nr. 69 des Landgerichts Münster) Justizobersekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

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Lösungsvorschlag zur Klausur im Straf- und Strafprozessrecht

A. Zulässigkeit der Revision

I. Statthaftigkeit Die Revision wird durchgeführt gegen das (Berufungs-)Urteil einer kleinen Strafkammer und ist deshalb gemäß § 333 StPO statthaft.

II. Ordnungsgemäße Einlegung 1) Adressat Die Revision muss gemäß § 341 I StPO beim Ausgangsgericht, also beim Landgericht Münster eingelegt werden. Dies ist geschehen.

2) Form Die Revision muss gem. § 341 I StPO entweder zu Protokoll der Geschäftsstelle (funktionelle Zuständigkeit des Rechtspflegers nach § 24 I Nr. 1 b RPflG) oder schriftlich eingelegt werden. Hier ist die Einlegung schriftlich erfolgt.

3) Frist Die Einlegungsfrist beträgt 1 Woche (§ 341 I StPO). Sie beginnt hier mit der (wirksamen) Zustellung des Urteils, da die Urteilsverkündung in Abwesenheit des Angeklagten stattgefunden hat (§ 341 II StPO). Eine Zustellung des Urteils erfolgte am Donnerstag, dem 18. März 1999 an den Wahlverteidiger des Angeklagten. Diesen hatte der Angeklagte jedoch nur mündlich mandatiert, so dass sich keine Vollmacht bei den Akten befand. Die Voraussetzungen des § 145 a I StPO für eine Zustellung an den Wahlverteidiger lagen daher nicht vor, so dass die Zustellung vom 18. März 1999 die Revisionseinlegungsfrist nicht in Gang setzte. Damit war die Revisionseinlegung am 26. März 1999 fristgerecht, denn die Revision kann schon eingelegt werden, bevor die Einlegungsfrist überhaupt zu laufen begonnen hat.

III. Ordnungsgemäße Begründung

1) Adressat Adressat ist gemäß § 345 I 1 StPO das Landgericht Münster. Der Angeklagte will seine Revision jedoch nicht diesem gegenüber begründen, sondern gegenüber dem Amtsgericht Krefeld. Er wird in der Justizvollzugsanstalt Willich I auf Anordnung der Staatsanwaltschaft Bonn verwahrt und kann daher gemäß § 299 I StPO seine Revision gegenüber dem Amtsgericht Krefeld begründen, da die Justizvollzugsanstalt Willich I in dessen Bezirk liegt.

2) Form Die Revisionsbegründung kann gemäß § 345 II StPO seitens des Angeklagten nur in einer von dem Verteidiger oder einem Rechtsanwalt unterzeichneten Schrift oder zu Protokoll der Geschäftsstelle geschehen. Hier wählt der Angeklagte die letzte Alternative. Funktionell zuständig für die Aufnahme der Revisionsbegründung ist gemäß § 24 I Nr. 1 b RPflG der Rechtspfleger.

3) Frist Die Revisionsbegründungsfrist beträgt gemäß § 345 I 1 StPO einen Monat. Sie beginnt mit Ablauf der Revisionseinlegungsfrist, d.h. schließt sich an diese an. War das Urteil bei Ablauf der Revisionseinlegungsfrist allerdings noch nicht wirksam zugestellt, so beginnt die Revisionsbegründungsfrist erst mit der wirksamen Zustellung des Urteils (§ 345 I 2 StPO). Es kommt also zunächst darauf an, wann die Revisionseinlegungsfrist ablief. Um die Revisionseinlegungsfrist in Gang zu setzen, war gemäß § 341 II StPO die wirksame Zustellung des Urteils erforderlich. Die erste Zustellung (18. März 1999) war fehlgeschlagen, vgl. oben. Als zweiter Zeitpunkt für eine Zustellung kommt der Donnerstag, 22. April 1999, in Frage. Hier könnte wirksam an den Angeklagten selbst zugestellt worden sein. Dem Angeklagten wurde das zuzustellende Urteil jedoch nicht selbst übergeben, sondern seiner Mutter unter der Tecklenburger Anschrift des Angeklagten. Eine wirksame Ersatzzustellung gemäß §§ 37 I 1 StPO; 208, 181 I ZPO scheitert jedoch daran, dass der Angeklagte am 22. April 1999 schon seit gut 3 Wochen für insgesamt 3 Jahre in der Justizvollzugsanstalt Willich I saß und daher keine Wohnung im Sinne des § 181 I ZPO mehr in Tecklenburg hatte. Eine Heilung des Zustellungsfehlers gemäß §§ 37 I 1 StPO; 208, 187 S. 1 ZPO kommt nicht in Frage. Sie ist nämlich gemäß § 187 S. 2 ZPO nicht möglich, soweit durch die Zustellung der Lauf einer Notfrist in Gang gesetzt werden soll. Gemäß § 37 I 2 StPO sind aber alle gesetzlichen Fristen der StPO Notfristen. Damit hat die Revisionseinlegungsfrist noch gar nicht zu laufen begonnen, so dass sich an ihr Ende auch noch keine Revisionsbegründungsfrist anschließen konnte. Auch die Begründung der Revision kann schon erfolgen, bevor die Begründungsfrist zu laufen begonnen hat. Also erfolgt die Revisionsbegründung fristgerecht.

Zwischenergebnis: Die Revision ist zulässig.

 

B. Begründetheit der Revision

I. Von Amts wegen zu berücksichtigende Verfahrenshindernisse

1) Deutsches Strafrecht Alle Taten wurden im Inland begangen, so dass das deutsche Strafrecht gemäß § 3 StGB anwendbar ist. Die Trippelstaatigkeit des Angeklagten ist also bedeutungslos.

2) Fehlender Strafantrag bzgl. des Diebstahls am 20 US-Dollarschein Der Geldschein hat einen Wert von knapp 40,-- DM und ist deshalb geringwertige Sache im Sinne des § 248 a StGB. Der somit nach dieser Vorschrift erforderliche Strafantrag fehlt. Dennoch besteht kein Verfahrenshindernis, denn durch die Anklageerhebung hat die Staatsanwaltschaft das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung zumindest konkludent bejaht (relatives Antragsdelikt).

3) Fehlender Strafantrag bzgl. des Betruges gegenüber und zum Nachteil der Zeugin Angelika Born Die Zeugin ist die geschiedene Ehefrau des Bruders des Angeklagten und damit gemäß § 11 I Nr. 1 a StGB seine Angehörige. Somit war zur Verfolgung des Betruges gemäß §§ 263 IV, 247 StGB ein Strafantrag erforderlich. Sein Fehlen wird auch nicht durch die Anklageerhebung geheilt (absolutes Antragsdelikt). Also liegt in Bezug auf den Betrug ein Verfahrenshindernis vor.

II. Zu rügende Verfahrensfehler

1) Absoluter Revisionsgrund nach § 338 Nr. 1 StPO Fraglich ist, ob die kleine Strafkammer nicht vorschriftsmäßig besetzt war. Gemäß § 76 I 1 GVG ist sie im Normalfall mit einem Berufsrichter und zwei Schöffen besetzt. Hier wurde aber über die Berufung gegen ein Urteil des erweiterten Schöffengerichts (§ 29 II GVG) entschieden. Deshalb war gemäß § 76 III GVG ein zweiter Berufsrichter hinzuzuziehen. Damit kein absoluter Revisionsgrund nach § 338 Nr. 1 StPO.

2) Absoluter Revisionsgrund nach §§ 338 Nr. 5 StPO Fraglich ist, ob die Hauptverhandlung in Abwesenheit einer Person stattgefunden hat, deren Anwesenheit das Gesetz vorschreibt. Das Urteil wurde in Abwesenheit des Angeklagten verkündet, der gemäß §§ 332; 231 I StPO grundsätzlich anwesend sein muss. Hier hatte sich der Angeklagte aber aus der Hauptverhandlung entfernt, so dass diese nach §§ 332, 231 II StPO auch ohne seine Anwesenheit zu Ende geführt werden konnte. Damit kein absoluter Revisionsgrund nach § 338 Nr. 5 StPO.

3) Relativer Revisionsgrund nach §§ 337; 326 S. 2 StPO durch Nichtgewähren des letzten Wortes? a) Schutzvorschrift für den Angeklagten liegt nach der sogenannten "Rechtskreistheorie" unproblematisch vor. b) Dem Angeklagten wurde kein letztes Wort gewährt, so dass ein Verstoß gegen die Schutzvorschrift vorliegt. c) Kausalität nach der Möglichkeitstheorie ist ebenfalls gegeben. Damit liegt ein relativer Revisionsgrund nach §§ 337; 326 Satz 2 StPO vor.

4) Relativer Revisionsgrund nach §§ 337; 332, 250 StPO durch Verlesen des Polizeiprotokolls über die Aussage der Zeugin Ute Lumer? a) § 250 StPO will erreichen, dass das Gericht nur die "tatnächsten" Beweismittel benutzt und ist damit eine Schutzvorschrift für den Angeklagten. b) Fraglich ist, ob ein Verstoß gegen den Unmittelbarkeitsgrundsatz vorliegt. Nach § 250 StPO muss das Strafgericht einen Zeugen in der Hauptverhandlung vernehmen und darf die Vernehmung nicht durch Verlesung des Protokolls über eine frühere Vernehmung ersetzen. Danach läge ein Verstoß gegen den Unmittelbarkeitsgrundsatz vor. Es könnte aber eine Ausnahme vom Grundsatz der Unmittelbarkeit nach §§ 332, 251 II 2 StPO vorliegen:

aa) Der Angeklagte hatte einen Verteidiger. bb) Die Zeugin Ute Lumer war in ein unbefristetes Delirium tremens gefallen. Heilungsversuche waren erfolglos geblieben, so dass ungewiss war, ob sie überhaupt noch einmal vernommen werden konnte. cc) Der in § 251 IV StPO vorgesehene Beschluss mit Begründung lag vor.

Damit lag eine Ausnahme vom Grundsatz der Unmittelbarkeit vor, so dass das Strafgericht das polizeiliche Protokoll über die Aussage der Zeugin Ute Lumer verlesen durfte.

5) Relativer Revisionsgrund nach §§ 337, 52 III StPO durch Nichtbelehren der Zeugin Angelika Born über ein Zeugnisverweigerungsrecht? a) § 52 III StPO ist Gesetz im Sinne des § 337 StPO, da die Vorschrift die Beziehung zwischen dem Angeklagten und seinen Angehörigen schützt, die im Spannungsverhältnis zwischen Wahrheitspflicht und persönlicher Bindung stehen. b) Die Zeugin Born war die geschiedene Ehefrau des Bruders des Angeklagten und hatte damit ein Zeugnisverweigerungsrecht (§§ 52 I Nr. 3 - 4. Alt. StPO; 1590, 1589 BGB; Art. 51 EGBGB). Sie ist mit dem Angeklagten im 2.Grad der Seitenlinie verschwägert. c) Das Strafgericht hat die Zeugin nicht über dieses Zeugnisverweigerungsrecht belehrt und damit gegen § 52 III StPO verstoßen. d) Wäre das Strafgericht seiner Belehrungspflicht nachgekommen, hätte die Zeugin möglicherweise geschwiegen und so den Angeklagten nicht belastet. Dann aber hätte das Strafgericht vielleicht ein für den Angeklagten günstigeres Urteil gesprochen. Somit liegt ein relativer Revisionsgrund nach §§ 337, 52 III StPO vor.

6) Relativer Revisionsgrund nach §§ 337, 63 StPO durch Nichtbelehren der Zeugin Angelika Born über ein Eidesverweigerungsrecht?

a) Rechtskreisvorschrift (+); Begründung wie oben 5 a) b) Die Zeugin Born war eine der in § 52 I StPO bezeichneten Angehörigen des Angeklagten und hatte deshalb gem. § 63 - 1. Halbsatz StPO ein Eidesverweigerungsrecht, über das sie gemäß § 63 - 2. Halbsatz StPO zu belehren war. c) Durch die Nichtbelehrung hat das Strafgericht gegen § 63 - 2. Halbsatz StPO verstoßen. d) Das Strafgericht hat die Aussage der Zeugin Born jedoch nur als uneidliche verwertet, so dass es an der Kausalität fehlt. Mithin liegt kein relativer Revisionsgrund nach den §§ 337, 63 StPO vor.

 

III. Materiell-rechtliches Gutachten

1. Dadurch, dass der Angeklagte bei dem 5 Jahre alten Kevin die Luftröhre aufgeschnitten hat, könnte er sich wegen gefährlicher Körperverletzung gem. §§ 223, 224 I Nr. 2 StGB strafbar gemacht haben.

a) Tatbestandsmäßigkeit Dann müsste der Angeklagte den 5 Jahre alten Kevin körperlich misshandelt oder an der Gesundheit beschädigt haben. Nach ständiger Rechtsprechung ist jede ärztliche, die Integrität des Körpers berührende Maßnahme tatbestandlich Körperverletzung, und zwar gleichgültig, ob erfolgreich oder missglückt, kunstgerecht oder fehlerhaft (vgl. Eser in Schönke/Schröder, Kommentar zum StGB, 25. Aufl., München 1997, § 223 Rn. 29, m.w.N.). Hiernach ist die Tatbestandsmäßigkeit für die Körperverletzung gegeben. Die Körperverletzung wurde mittels eines Skalpells, also eines gefährlichen Werkzeugs begangen, so dass auch die Voraussetzungen des § 224 I Nr. 2 StGB für eine gefährliche Körperverletzung erfüllt sind.

b) Rechtswidrigkeit Fraglich ist, ob das Verhalten des Angeklagten gerechtfertigt war. aa) Als Rechtfertigung könnte eine rechtfertigende Einwilligung nach § 228 StGB in Betracht kommen, die hier wegen der fehlenden natürlichen Einsichts- und Steuerungsfähigkeit des erst 5 Jahre alten Kevins von dessen Eltern als gesetzliche Vertreter zu erteilen gewesen wäre. Eine ausdrückliche rechtfertigende Einwilligung liegt nicht vor. Die Konstruktion einer sog. mutmaßlichen Einwilligung scheitert daran, dass die Eltern von Kevin auf dem Zettel ausdrücklich erklärt haben, dass sie jedem medizinischen Eingriff an ihrem Kind mit Nachdruck widersprechen, auch für den Fall der Not. Damit liegt keine rechtfertigende Einwilligung nach § 228 StGB vor. bb) Da es mit dem Rechtsgefühl schlechterdings unvereinbar ist, dass der Angeklagte für sein lebensrettendes Verhalten wegen gefährlicher Körperverletzung bestraft wird, muss im Folgenden von den Studierenden eine Konstruktion gefunden werden, mit der sich das Verhalten des Angeklagten rechtfertigen lässt. An dieser Stelle ist die Phantasie der Studierenden gefragt. Möglich sind drei Konstruktionen, mit denen sich eine Rechtfertigung für das Verhalten des Angeklagten herbeiführen lässt, nämlich Notwehr in Form der Nothilfe, rechtfertigender Notstand und eine mutmaßliche Einwilligung des Familiengerichts nach § 1666 III BGB. Die Studierenden werden dabei mindestens einen dieser drei Rechtfertigungskonstruktionen in ihrer Lösung darzustellen haben. Zu den drei Konstruktionen im Einzelnen: cc) Notwehr Voraussetzung für eine Notwehr ist, dass ein Angriff vorliegt, also eine Bedrohung rechtlich geschützter Interessen durch menschliches Verhalten. Hier lag ein Angriff der Eltern des 5 Jahre alten Kevins auf sein Leben vor. Dieser Angriff dauerte gerade an und war damit gegenwärtig. Er war auch rechtswidrig, denn für ihn gab es seinerseits keinen Rechtfertigungsgrund. Der Angeklagte trat als Nothelfer auf und tätigte gegen den Angriff der Eltern eine Verteidigungshandlung, nämlich den Luftröhrenschnitt. Nach den konkreten Umständen gab es keine andere Möglichkeit, das Leben von Kevin zu retten, so dass die Verteidigung auch erforderlich war. Der Angeklagte handelte mit Verteidigungswillen, nämlich in Kenntnis der Notwehrlage. Anhaltspunkte für ein rechtsmissbräuchliches Verhalten sind nicht gegeben. Insgesamt sind damit die Voraussetzungen der Notwehr erfüllt. dd) Zum rechtfertigenden Notstand nach § 34 StGB: Es lag eine gegenwärtige Gefahr für ein Rechtsgut vor, nämlich für das Leben von Kevin. Kevin wäre ohne das Verhalten des Angeklagten nur wenige Sekunden später erstickt, so dass die Gefahr auch nicht anders abwendbar war als durch die Eingriffshandlung, nämlich den Luftröhrenschnitt. Das geschützte Interesse müsste das beeinträchtigte Interesse wesentlich überwiegen. Hier kollidieren die Rechtsgüter "Leben des Kindes" einerseits und Vertretungsrecht und Religionsfreiheit der Eltern andererseits miteinander. Da das Leben eines Menschen als das höchste Rechtsgut angesehen werden muss, ist es gegenüber dem Vertretungsrecht und der Religionsfreiheit der Eltern höherrangig. Der Luftröhrenschnitt war auch ein angemessenes Mittel zur Gefahrabwehr. Ein milderes Mittel stand nämlich nicht zur Verfügung. Letztlich handelte der Angeklagte auch mit Rettungswillen, so dass auch hier das subjektive Rechtfertigungselement vorliegt. Insgesamt liegen damit auch die Voraussetzungen des rechtfertigenden Notstandes nach § 34 StGB vor. ee) Zur mutmaßlichen rechtfertigenden Einwilligung des Familiengerichts gem. § 1666 Abs. 3 BGB Nach § 1666 Abs. 1 BGB hat das Familiengericht die zur Abwendung einer konkreten Gefahr für das körperliche Wohl eines Kindes erforderlichen Maßnahmen zu treffen, wenn die Eltern nicht gewillt oder nicht in der Lage sind, diese Gefahr abzuwenden. Es kann keinem ernsthaften Zweifel unterliegen, dass diese Voraussetzungen gegeben sind, wenn ein Kind lebensnotwendig einer Operation bedarf (vgl. dazu OLG Celle, MDR 1994, 487). Die Eltern können sich in diesem Fall auch nicht mit Erfolg auf ihre Grundrechte aus Art. 6 Abs. 1 GG (elterliches Erziehungsrecht) und Art. 4 Abs. 1 GG (Religionsfreiheit) berufen, weil diese infolge Kollision mit dem Grundrecht des Kindes auf Leben (Art. 2 Abs. 2 GG) zurücktreten müssen (vgl. OLG Celle, a.a.O.). Es kann daher davon ausgegangen werden, dass das Familiengericht bei Kenntnis der Sachlage den Eltern die elterliche Sorge entzogen hätte und ihre Einwilligung in den Luftröhrenschnitt gem. § 1666 Abs. 3 BGB ersetzt hätte.

Im Ergebnis ist daher festzuhalten, dass das Verhalten des Angeklagten gerechtfertigt war, so dass er sich nicht wegen gefährlicher Körperverletzung gem. §§ 223, 224 I Nr. 2 StGB strafbar gemacht hat.

2. Dadurch, dass der Angeklagte dem nichtsesshaften Paul Teupel den 20 US-Dollarschein entwendet hat, könnte er sich wegen Diebstahls gem. § 242 Abs. 1 StGB strafbar gemacht haben.

a) Tatbestandsmäßigkeit Der 20 US-Dollarschein stand im Alleineigentum des amerikanischen Touristen (nicht etwa des Paul Teupel) und war somit für den Angeklagten eine fremde bewegliche Sache. Fraglich ist, ob der Angeklagte dem Paul Teupel den 20 US-Dollarschein weggenommen hat. Wegnahme bedeutet den Bruch fremden Gewahrsams und die Begründung neuen Gewahrsams. Gewahrsam ist das von einem natürlichen Herrschaftswillen getragene tatsächliche Herrschaftsverhältnis über eine Sache, wobei die konkreten Umstände des Einzelfalles und die sozialen Anschauungen des täglichen Lebens maßgebend sind. Der nichtsesshafte Paul Teupel war bereits verstorben, als der Angeklagte sich ihm näherte. Der nichtsesshafte Paul Teupel konnte daher keinen natürlichen Herrschaftswillen mehr entfalten. Somit hatte er an dem 20 US-Dollarschein auch keinen Gewahrsam mehr. Auch der amerikanische Tourist, dem der Paul Teupel kurz zuvor den 20 US-Dollarschein entwendet hatte, hatte an dem Geldschein keinen Gewahrsam mehr, denn es fehlte ihm die Möglichkeit, jederzeit Zugriff auf den Geldschein zu nehmen. Dies bedeutet, dass der 20 US-Dollarschein gewahrsamslos geworden war und somit als Tatobjekt eines Diebstahls ausschied. Damit hat der Angeklagte den 20 US-Dollarschein nicht weggenommen und sich somit auch nicht wegen Diebstahls gem. § 242 Abs. 1 StGB strafbar gemacht. Es liegt vielmehr eine sog. "Fundunterschlagung" gem. § 246 Abs. 1 S. 1 StGB vor. Da der Angeklagte jedoch nicht wegen Unterschlagung verurteilt wurde, darf eine Unterschlagung von den Studierenden auch nicht geprüft werden!

3. Dadurch, dass der Angeklagte das Hermelinpelzjäckchen für 5.000,-- DM an die Zeugin Angelika Born veräußerte, könnte er sich dieser gegenüber wegen Betruges gem. § 263 Abs. 1 StGB strafbar gemacht haben.

a) Tatbestandsmäßigkeit Der Angeklagte spiegelte der Zeugin Angelika Born vor, er sei Eigentümer des Hermelinpelzjäckchens, was nicht der Wirklichkeit entsprach. Eigentümerin war vielmehr die Zeugin Marliese Kutsche (§ 1922 I BGB). Damit täuschte er die Zeugin Angelika Born. Bedingt durch diese Täuschungshandlung des Angeklagten unterlag die Zeugin Angelika Born einem Irrtum, denn sie glaubte, der Angeklagte sei Eigentümer des Hermelinpelzjäckchens. Bedingt durch diesen Irrtum zahlte die Zeugin Angelika Born an den Angeklagten 5.000,-- DM und traf somit eine Vermögensverfügung. Fraglich ist, ob die Zeugin Angelika Born durch diese Vermögensverfügung auch einen Vermögensschaden erlitten hat. Dies beurteilt sich nach der sog. Saldotheorie, d.h. die Vermögenslage der Zeugin Angelika Born, vor und nach der Vermögensverfügung ist miteinander zu vergleichen. Vor der Vermögensverfügung befanden sich im Vermögen der Zeugin Angelika Born 5.000,-- DM. Ein Vermögensschaden wäre dann entstanden, wenn die Zeugin Angelika Born das Eigentum an dem Hermelinpelzjäckchen, für das sie die 5.000,-- DM zahlte, nicht erworben hat. Ein Erwerb des Eigentums nach § 929 BGB scheitert daran, dass der Angeklagte nicht Eigentümer des Hermelinpelzjäckchens war, sondern die Zeugin Marliese Kutsche (§ 1922 Abs. 1 BGB). Die Zeugin Angelika Born könnte jedoch das Eigentum an dem Hermelinpelzjäckchen gutgläubig gem. § 932 BGB erworben haben. Voraussetzung dazu ist jedoch, dass der § 932 BGB überhaupt anwendbar ist. Wie sich aus dem Sachverhalt ergibt, wurde das Hermelinpelzjäckchen der Zeugin Marliese Kutsche aus der Theatergarderobe gestohlen, so dass der § 932 BGB gem. § 935 Abs. 1 S. 1 BGB nicht anwendbar ist. Danach hätte die Zeugin Angelika Born nicht das Eigentum an dem Hermelinpelzjäckchen erworben und somit einen Vermögensschaden erlitten. Zu beachten ist jedoch, dass der Angeklagte einen Alleinerbschein des zuständigen Nachlassgerichts nach der verstorbenen Freifrau zu Menster erlangt hatte, dass das Hermelinpelzjäckchen zum Nachlass gehörte und dass der Alleinerbschein noch in Kraft war. Nach § 2366 BGB gilt zugunsten des Erwerbers der Inhalt des Alleinerbscheins als richtig, soweit er von dem im Erbschein bezeichneten Erben durch Rechtsgeschäft einen Erbschaftsgegenstand erwirbt. Danach galt zugunsten der Zeugin Angelika Born der Angeklagte als der Eigentümer des Pelzjäckchens, so dass die Zeugin Angelika Born von dem Angeklagten das Eigentum an dem Pelzjäckchen erworben hat. Somit hat die Zeugin Angelika Born keinen Vermögensschaden erlitten. Mithin hat sich der Angeklagte auch nicht wegen Betruges gem. §§ 263 Abs. 1 StGB strafbar gemacht.

4. Die Konkurrenzen sind stimmig.

Zwischenergebnis: Die Revision ist begründet.

Endergebnis: Die Revision ist sowohl zulässig als auch begründet.

 

Diplom-Rechtspfleger Holger Schweda, Köln; Richter am Landgericht Köln; zur Zeit Dozent an der Fachhochschule für Rechtspflege Nordrhein-Westfalen, Bad Münstereifel.