Verfassungsverstoß nach Artikel 2 Abs. 2 S. 2 GG durch überlange Untersuchungshaft
Zu Art. 2 GG, § 121 StPO, Art. 5 EMRK: Eine Anmerkung zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 30.9.1999 – 2 BvR 1775/99 -, abgedruckt in NStZ 2000, 153

Hans-Jürgen Dohmen, Dozent an der FHR NRW Bad Münstereifel

 

Die vorbezeichnete Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts stellt eine weitere Stärkung des Bescheunigungsgrundsatzes und der rechtstaatlichen Unschuldsvermutung im Strafverfahren dar.

Das Bundesverfassungsgericht sieht es als einen Verstoß gegen das Grundrecht des Inhaftierten aus Artikel 2 Abs. 2 S. 2 GG an, wenn die Strafverfolgungsbehörden trotz konkreter zeitlicher Vorgaben durch das Oberlandesgericht nicht alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen haben, um die notwendigen Ermittlungen mit der gebotenen Beschleunigung abzuschließen. Das Bundesverfassungsgericht knüpft hiermit an seine bisherige Rechtsprechung an, dass verfassungsrechtlich an die Beachtung des Beschleunigungsgrundsatzes mit zunehmender Haftdauer steigende Anforderungen zu stellen sind (vgl. BVerfGE 53, 152). Im vorliegenden Fall ging es um die sich aus Artikel 2 Abs. 2 S. 2 GG ergebenden Anforderungen an eine nach § 121 Abs. 1 StPO zu treffende Entscheidung bei einer bisher vollzogenen Untersuchungshaft von nahezu 18 Monaten.

Die Entscheidung, die dem verfassungsmäßigem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung trägt, wird auch dem Anspruch des Inhaftierten auf beschleunigte Aburteilung nach Artikel 5 Abs. 3 S. 2 EMRK gerecht. Die Freiheitsentziehung ist der stärkste Eingriff in die Persönlichkeit des Beschuldigten, beeinträchtigt Privat- und Berufsleben und bedeutet in der Regel wirtschaftliche Nachteile und ein Absinken des sozialen Ansehens. Es besteht insbesondere die Gefahr, dass sich eine überlange Untersuchungshaft in eine vorweggenommene Verdachtsstrafe umkehrt. Diese kann in ihren Auswirkungen einer Verurteilung gleichkommen, wodurch der rechtsstaatliche Grundsatz der Unschuldsvermutung verletzt wird.

 

März 2000