Ist die Bundesregierung verpflichtet, im Fall eines Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte in Afghanistan die vorherige Zustimmung des Deutschen Bundestages einzuholen?

Hans-Jürgen Dohmen, Dozent an der FHR NRW Bad Münstereifel

Diese - aus aktuellen Gründen - bedeutsame Frage wird zur Zeit kontrovers beantwortet. Da das Grundgesetz die vorliegende Frage nicht ausdrücklich regelt und bisher ein Gesetz nicht vorhanden ist, welches den Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte im Ausland regelt, kann zur Entscheidung der Rechtsfrage nur auf die bisherige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu einem Bundeswehreinsatz im Ausland zurückgegriffen werden. Einschlägig ist hier die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im 90. Band, Seite 286 ff. Hiernach ist die Bundesregierung verpflichtet, für einen Einsatz bewaffneter Streitkräfte die grundsätzlich vorherige konstitutive Zustimmung des Deutschen Bundestages einzuholen. Das Bundesverfassungsgericht begründet diese Auffassung zum Parlamentsvorbehalt im wesentlichen mit den grundgesetzlichen Regelungen über die Wehrverfassung und der deutschen Verfassungstradition seit 1918. Allerdings wird in der Entscheidung auch ausdrücklich darauf hingewiesen, das die verfassungsrechtlich gebotene Mitwirkung des Bundestages bei konkreten Entscheidungen über den Einsatz bewaffneter Streitkräfte die militärische Wehrfähigkeit und die Bündnisfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland nicht beeinträchtigen darf. Deshalb sei die Bundesregierung bei Gefahr im Verzug berechtigt, vorläufig den Einsatz von Streitkräften zu beschließen und an entsprechenden Beschlüssen in den Bündnissen oder internationaler Organisationen ohne vorherige Einzelermächtigung durch das Parlament mitzuwirken und diese vorläufig zu vollziehen. Das Bundesverfassungsgericht stellt in der Entscheidung weiter fest, dass es dem Gesetzgeber unbenommen sei, die Voraussetzung eines solchen Notfalls und das dabei zu beobachtende Verfahren näher zu regeln. Als Ergebnis einer verfassungsrechtlichen Prüfung ist daher festzuhalten, dass ein Parlamentsvorbehalt nicht greift, wenn die Bundesregierung in einem Notfall bzw. bei Gefahr im Verzug über den Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte im Ausland entscheidet. Hierbei wird man der Bundesregierung einen weiten Entscheidungsspielraum einräumen müssen für die Bejahung eines solchen Notfalls. Sobald die militärische Wehrfähigkeit und die Bündnisfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt sein können und somit auch die Effizienz eines Einsatz bewaffneter Streitkräfte ihre Wirkung verfehlen kann, liegt die Annahme eines solchen Notfalls nahe. Wenn die Bundesregierung bei Bejahung eines solchen Notfalls alsdann umgehend das Parlament mit dem beschlossenen Einsatz befasst, bleibt dem Parlament das Recht, die Streitkräfte zurückzurufen.

Oktober 2001