Zwangsvollstreckung, Gerichtsvollzieher, Verwahrungsverträge, Justizfiskus
Bearbeiter: Prof. Dr. I. Fritsche/FHR NJ 2000, 89
Erstveröffentlichung: NJ 2000, 89

BGH, Urteil vom 17.Juni 1999 - IX ZR 308/98 (OLG Brandenburg)
ZPO § 885 Abs.3, § 808 Abs. 2; BGB § 164 Abs. 1 S.1

Der Gerichtsvollzieher schließt Verwahrungsverträge im Sinne von § 885 Abs. 3, § 808 Abs. 2 S.2 ZPO regelmäßig als bevollmächtigter Vertreter des Justizfiskus.

 

Problemstellung:
In dem entschiedenen Rechtsstreit machte der Kläger – ein Speditionsunternehmen – gegen die Beklagte, die im Angestelltenverhältnis Gerichtsvollzieherin beim AG Potsdam war, eine Forderung von ca. 58.000 DM geltend. Forderung resultierte aus Leistungen , die die Klägerin im Auftrag der Beklagten zur Räumung von Mietwohnungen sowie dem Transport, der Lagerung und Entsorgung von dort befindlichen Gegenständen erbracht hatte.

Nachdem das Landgericht der Klägerin zunächst den überwiegenden Teil der Forderungen zugesprochen hatte und die Berufung der Beklagten dagegen beim OLG erfolglos geblieben war, hob der BGH auf die Revision der Beklagten das OLG-Urteil auf, und wies die Klage ab.

 

Zusammenfassung der Entscheidungsgründe:
Der BGH hatte sich mit dem Problem zu befassen, ob die Verwahrverträge von der Beklagten mit der Klägerin im eigenen Namen geschlossen wurden. Davon wurde von den Vorinstanzen ausgegangen. Diese stützten sich darauf, daß der Gerichtsvollzieher die Möglichkeit habe, von dem Gläubiger Kostenvorschüsse zur Deckung der Lagerkosten zu verlangen, Gebühren aus dem Erlös vorweg zu entnehmen und bei unverschuldeter Uneinbringlichkeit Ersatz aus der Landeskasse zu verlangen. Dadurch sei der Gerichtsvollzieher ausreichend geschützt.

Der BGH hat zunächst festgestellt, daß Verträge, die der Gerichtsvollzieher in Realisierung der ihm aus § 885 Abs. 3 ZPO obliegenden Aufgaben schließt, dem bürgerlichen Recht unterliegen. Fraglich ist allerdings, zwischen wem die Verwahrverträge zustande kommen, wenn aus ihrem Inhalt nicht ausdrücklich hervorgeht, daß der Gerichtsvollzieher im eigenen Namen gehandelt hat.

Das RG war in mehreren Entscheidungen (u.a. RGZ 145,204,208) davon ausgegangen, daß der Gerichtsvollzieher eine Pfandkammer auf eigene Kosten halten müsse oder die zu verwahrenden Gegenstände einem besonders dazu bestellten Verwalter zu übergeben habe. Nach den gebührenrechtlichen Bestimmungen könne er die dafür erforderlichen Auslagen vom Kostenschuldner ersetzt verlangen oder einen Kostenvorschuß fordern. . Dies spreche gegen die Annahme, daß der Gerichtsvollzieher die Verwahrverträge im Auftrage des Justizfiskus abschließe.

Der BGH verweist zunächst auf seine frühere Entscheidung (BGHZ 89,82), in der er diese überkommene Rechtsprechung bereits in einem Sonderfall in Frage gestellt hatte. Er weitet mit der vorliegenden Entscheidung seine Auffassung nun dahingehend aus, daß in allen Fällen, in denen es an einer anderweitigen gesetzlichen Regelung fehlt und der Gerichtsvollzieher nicht ausdrücklich im eigenen Namen handelt auf Grundlage des § 164 Abs. 1 S.2 BGB anzunehmen ist, daß der Vertrag im Namen des Justizfiskus geschlossen wird.

Das Gericht schlußfolgert dies insbesondere aus folgenden Umständen:
der Gerichtsvollzieher ist gem. § 154 GVG Beamter oder (in den neuen Bundesländern) Angestellter des öffentlichen Dienstes, und nimmt hoheitliche Aufgaben wahr. Auf dieser Grundlage haftet der Dienstherr für Amtspflichtverletzungen gem. Art. 34 GG, § 839 BGB. In vergleichbaren Fällen (etwa bei der Erteilung eines Abschleppauftrages durch einen Polizeibeamten) sei es selbstverständlich, daß Verträge mit der Anstellungskörperschaft zustande kämen; dies müsse auch für den Gerichtsvollzieher gelten.

Die kostenrechtlichen Bestimmungen führen nach Ansicht des BGH ebenfalls nicht zwingend zu der Annahme, daß es Privatsache des Gerichtsvollziehers sei, Verwahrverträge abzuschließen. Damit werde dem Geri9chtsvollzieher lediglich die Möglichkeit gegeben, Auslagen vom Kostenschuldner einzuziehen oder – wo das ohne Verschulden des Gerichtsvollziehers nicht möglich sei – diese aus der Landeskasse ersetzt zu erhalten.

Schließlich sei für den Vertragspartner ersichtlich, daß der Gerichtsvollzieher, der hoheitliche Tätigkeit ausführe nicht im eigenen Namen handele, sondern die Verträge für den Justizfiskus abschließe.

Die Vertretungsmacht des Gerichtsvollziehers ergibt sich für den BGH unmittelbar aus §§ 808 Abs. 2, 885 Abs. 3 ZPO. Da ausgeschlossen sei, daß der Gerichtsvollzieher als Vertreter des Gläubigers oder Schuldners handele, komme nur die Vertretung des Justizfiskus infrage, falls das Bundesland keine anderweitige gesetzliche Regelung getroffen habe.

 

Kommentar:
Die Entscheidung stellt klar, daß mangels anderweitiger Regelungen der Justizfiskus für abgeschlossene Verträge einzustehen hat. Damit wird zunächst der Gerichtsvollzieher selbst geschützt, worauf der BGH ausdrücklich hinweist. Denn es ist nicht einzusehen, daß der Gerichtsvollzieher, dessen Tätigkeit auf der Grundlage eine unmittelbar gesetzlichen Auftrages (wie im Falle des § 808 ZPO) oder durch Ermächtigung des Vollstreckungsgerichts (§§ 822,844 ZPO) hoheitlicher Natur ist, als Privatperson hierfür einzustehen hat. Das würde ihn auch haftungsrechtlich gegenüber anderen Hoheitsträgern benachteiligen, die nur aus Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit regreßpflichtig sind (§ BBG, § 14 BAT); als Privater wäre er gegenüber dem Vertragspartner nach § 276 BGB für jede Form der Fahrlässigkeit haftbar.

Die Auslegung des BGH schützt aber auch den Vertragspartner, der nicht befürchten muß, daß seine Forderungen wegen mangelnder Liquidität des Gerichtsvollziehers uneinbringlich werden. Der Vertragspartner kann sich somit auch besser auf die Rechtslage einstellen, weil er nur im Falle einer speziellen landesgesetzlichen Regelung oder bei eindeutigem Handeln des Gerichtsvollziehers im eigenen Namen damit rechnen muß, nur gegenüber dem Gerichtsvollzieher seine Vertragsforderungen geltend machen zu können.

 

Literaturhinweise:
Zöller: Zivilprozeßordnung, 20 Aufl. Rn. 9 ff. zu § 885 ZPO; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann: Zivilprozeßordnung, 56. Auflage Rn. 29 zu § 885 ZPO (jeweils m.w.N.)